In schulischen Abstimmungen wird oft nach dem Konsens gestrebt: Eine Entscheidung wird durch eine einfache Mehrheit erwirkt, wobei die besten Argumente überzeugen. Nicht selten gibt es jedoch Gegenstimmen, die Veränderungsdynamiken von Innovationsprozessen beeinflussen können. Daher werden Entscheidungen – trotz einfacher Mehrheit – oftmals nicht anerkannt. Denn das Ziel ist schließlich der Konsens: Alle, oder zumindest eine große Mehrheit, sollte für das Vorhaben stimmen, Widersprüche sollten aufgelöst werden. Doch ist dieses Vorhaben noch zeitgemäß, insbesondere in Zeiten von Komplexität, Widersprüchen und einem großen Bedarf an innovativen Lösungen?

Diese Frage war Anstoßkugel im Workshop "Alles Konsens oder was? In Innovationsreisen agil und demokratisch entscheiden", den Berrit Moßbrugger und Yannick Schult vom innovationhub.schule leiteten. Darin stellten sie den Teilnehmenden im Rahmen des LiGa-Fachtags am 19. September 2023 das Konsentverfahren vor, mittels dessen Entscheidungen agil und demokratisch gefällt werden können.

Konsens vs. Konsent

„Wir haben ein Abstimmungsdilemma bei uns an der Schule. Während wir versuchen, Abstimmungen so einfach wie möglich zu gestalten und diese mittlerweile per Mail mit weiterführenden Infos durchführen, wünschen sich einige Kolleg:innen mehr Raum für Austausch und Diskussionen, da ihnen die E-Mail nicht reicht. Sie wollen mehr Lehrer:innenkonferenzen, die andere wiederum ablehnen“, berichtete eine Teilnehmerin im Workshop. Erfahrungen wie diese teilten auch weitere teilnehmende Schulleitungen und Lehrkräfte und brachten damit auf den Punkt, was Abstimmungen an Schulen nicht selten auslösen: Frustration, Spannungen und teils auch Spaltungen im Kollegium. Für schulische Innovationen und die Handlungsfähigkeit eines Schulentwicklungsteams sei das jedoch blockierend, erklärte Berrit Moßbrugger. Stattdessen sei ein „Neu Denken“ gefragt, so die Referentin weiter.

Beim Konsentverfahren, der agilen Schwester des Konsensverfahrens, entscheidet nicht die Mehrheit, sondern das beste verfügbare Argument, gegen das keine relevanten Einwände bestehen. Widersprüche und relevante Einwände sind für den Prozess gewinnbringend und werden aktiv in die Gestaltung einer Lösung eingebunden. Das Konsentverfahren unterliegt dabei zwei zentralen Fragen und Entscheidungsprinzipien:

  • Ist der Vorschlag für den Moment gut genug (1.) und sicher genug, um ihn auszuprobieren (2.)?
  • Kann ich damit bis zur nächsten Evaluation leben?

Statt theoretischer Diskussionen ermutigt das Verfahren zum Ausprobieren und erfahrendem Lernen. Jedes Teammitglied darf und soll sich aktiv an der Entscheidungsfindung beteiligen.

Bedenken vs. relevante Einwände

Beim Konsentverfahren sei zwischen Bedenken und relevanten Einwänden zu unterscheiden, wie Berrit Moßbrugger erklärte. Bedenken sind „Bauchschmerzen“, die sich gegen den Lösungsvorschlag richten, die Entscheidung jedoch nicht blockieren. Relevante Einwände sind begründete Argumente, die das Ziel gefährden und schädliche Konsequenzen zur Folge haben – zum Beispiel die Spaltung des Kollegiums. Aus diesem Grund müssen relevante Einwände in die Lösungsgestaltung miteinbezogen werden. Eine Entscheidung ist erst dann getroffen, wenn es keine relevanten Einwände gibt.

Die Phasen des Konsentprinzips

Das Verfahren unterliegt drei Phasen:

1. Input
Im Fokus stehen das Anliegen der Idee und die gewünschte Wirkung. Alle wesentlichen Informationen rund um den Vorschlag werden miteinander geteilt.

2. Interaktion
In dieser Phase wird geprüft, welche Informationen fehlen, um einen Vorschlag zu akzeptieren. Es werden Verständnisfragen geklärt und es wird die Möglichkeit gegeben, erste Eindrücke, Meinungen und Ideen zum Gehörten zu teilen. In dieser Phase werden auch die Bedenken und relevanten Einwände eingebracht.

3. Entscheidung
In der letzten Phase kann das Entwicklungsteam – dank der Rückmeldungen aus dem Team – den Vorschlag überarbeiten. Anschließend wird er präsentiert und die Frage gestellt: „Good enough for now, safe enough to try?“ (zu Deutsch: Gut genug für jetzt, sicher genug zum Testen?). Dieser Vorschlag wird so oft optimiert, bis es keine begründeten Einwände mehr gibt und die Entscheidung für die Erprobung verkündet werden kann. Sobald die Erprobung mehrere Iterationen zur Optimierung durchlaufen hat, wird die Lösung skaliert.

Potenziale des Konsentverfahrens

Anhand von drei Beispielen wurde das Prinzip von den Teilnehmenden erprobt. Ein Teil der Gruppe beschäftigte sich mit der Frage, ob und wie ein offener Unterrichtsbeginn gestaltet werden kann, während sich Gruppe zwei mit der Organisation und Durchführung eines Wintermarkts auseinandersetzte. Die dritte Gruppe erprobte das Konzept anhand der Frage, inwieweit man mit externen Kooperationspartner:innen zusammenarbeiten wolle, um das Ganztagsangebot an der Schule auszubauen.

Bei allen drei Beispielen folgten die Gruppen den drei Phasen des Konsentprinzips und stellten Überlegungen zu ihrem Vorhaben an: Wie sieht die Idee konkret aus? Wann muss was passieren? Wer muss miteinbezogen werden und bis wann muss was erledigt werden? Was sind zu erwartende Bedenken und Einwände? In einer abschließenden Runde tauschten sich die Teilnehmenden dazu aus. Positiv bewerteten sie die Möglichkeit, Vorhaben direkt auszuprobieren, statt sie nur zu diskutieren, und dabei große Schritte in kleinere zerlegen zu können. Vor allem überzeugte sie jedoch, die Bedenken und Einwände schon im Vorfeld mitzudenken.

  • Erscheinungsdatum: 11.10.2023
  • LiGa
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