Wann ist Wandel gelungen, sei es im privaten oder im beruflichen Umfeld? Positive Veränderungen haben eines gemeinsam: Sie sind aus einer intrinsischen Motivation heraus erfolgt, etwa durch einen großen persönlichen Wunsch oder einen Leidensdruck. Genauso verhält es sich mit schulischen Veränderungsprozessen: Sie sind dann erfolgreich, wenn sie von der Schulgemeinschaft verstanden, gewollt und mitgetragen werden. Andersherum ausgedrückt: „Von oben“ verordneter Wandel erfährt umso weniger Akzeptanz, je weniger die Gemeinschaft „mitgenommen“ wird.

Das Konzept der Change Agents

Hier setzt das Konzept der Change Agents an, das Stefan Clotz, Systemischer Management Coach und Berater, beim Fachtag im Kontext Schule vorstellte:

  • Change Agents kommen aus „der Mitte des Kollegiums“ und reflektieren kritisch die Veränderungsprozesse an ihrer Schule.
  • Sie nehmen den Fokus von Schulleitung und Lenkungsgruppen und tragen die Ergebnis-Verantwortung in die Schulgemeinschaft.
  • Sie üben die Anwendung von Veränderungsmodellen und die Moderation von Veränderungsprozessen.
  • Sie finden gute Wege zur Dokumentation der Veränderungsprozesse und zur Präsentation nach innen und außen.
  • Der Weg der Schule, die Rückschläge und die Erfolge werden nachvollziehbar und sind so ein gutes Vorbild.
  • Dieser Prozess stärkt alle, auch innerhalb der Schulgemeinschaft.
  • Wandel bekommt ein positives Antlitz und steht unabhängig von Erfolgen für ein erfolgreiches Handeln.
  • Der Weg wird so wichtig wie das Ziel, das Kollegium verändert seine Einstellung zu Veränderungen, verspürt Lust und fühlt sich erfolgreich.

Werkzeuge des Wandels

Welche Methoden können Change Agents helfen, um Veränderungsprozesse in Schulen anzustoßen und zu begleiten? Hierfür präsentierte Stefan Clotz drei Werkzeuge, welche die Workshopteilnehmenden selbst in verschiedenen Gruppen an Ort und Stelle testeten:

Die vier Zimmer der Veränderung

Das „House of Change“ hat vier Zimmer, die jeweils einen anderen emotionalen Zustand beschreiben. Sie repräsentieren diejenigen Zustände, die Menschen typischerweise in Veränderungsprozessen durchlaufen.

Der Raum des Widerstands: In diesem Zimmer wird eine notwendige Veränderung geleugnet oder von aktiver Ablehnung begleitet. Eine typische Aussage: „Das schaffen wir nicht.“
Der Raum der Verwirrung: Hier haben die Betroffenen verstanden, dass es einer Veränderung bedarf. Es herrschen Verlustgefühle, gleichzeitig sind neue Abläufe noch nicht etabliert. Eine typische Aussage: „Ich weiß nicht, wie das geht.“
Der Raum der Selbsterneuerung: In diesem Raum sind die Personen offen für den Wandel. Vertrauen und Kontrolle steigen. Eine typische Aussage: „Kenne ich nicht, aber erzähl mal.“
Der Raum der Zufriedenheit: In dieser Phase haben die Akteur:innen den gelungenen Wandel vollzogen. Eine typische Aussage: „Seitdem wir das so machen, funktioniert es.“

In der Schulpraxis können Change Agents vier physische Räume einrichten, die jeweils für eins der vier Zimmer stehen. Sie bitten die Kolleg:innen, den Raum zu betreten, der ihnen aktuell am meisten entspricht. Dort führen die Change Agents dokumentierte Interviews mit den Beteiligten durch.
 

Die Fieberkurve

Mithilfe der Fieberkurve lässt sich ein bisheriger Veränderungsprozess visualisieren und reflektieren. Die Change Agents können fragen: „Wenn Sie an die letzten zwölf Monate denken: Wo war im Kollegium gute Stimmung und wo schlechte?“ Dazu zeichnen die Beteiligten ihre persönliche Kurve in ein Koordinatensystem ein, wobei die horizontale Achse für den Zeitverlauf und die vertikale Achse für die Temperatur steht. Vorher einigt man sich darauf, ob eine hohe Temperatur einem Fieber (schlechter Stimmung) oder einer Wohlfühltemperatur (guter Stimmung) entspricht.

 

Storytelling

Mit dem Storytelling-Format können Change Agents Veränderungen anstoßen, indem sie die Schulgemeinschaft mit einer Change Story nicht nur kognitiv, sondern auch emotional erreichen und „mitnehmen“. Eine Story hat gemäß Stefan Clotz ein einfaches Set von Zutaten:

Eine:n Held:in: Das Publikum sollte sich mit ihm oder ihr identifizieren können.
Ein Ziel: Warum erzähle ich diese Story jetzt? Was will ich damit erreichen?
Einen Konflikt: Er entsteht aus Widerständen, die den oder die Held:in (und das Team) daran hindern, das Ziel zu erreichen.
Eine Dramaturgie: Sie lässt sich im Drei-Akt-Schema darstellen: Ausgangssituation, Komplikation, Auflösung.
Eine Auflösung: Wie wird der Konflikt gelöst, und was lernen wir daraus?
 

Werkzeuge der Dokumentation

Indem Change Agents den Veränderungsprozess dokumentieren, schaffen sie Sichtbarkeit und Transparenz nach innen und außen. Die Schulgemeinschaft ist informiert, gesetzte Ziele werden kontrolliert. Nach außen werden Prozesse sichtbar und multiplizierbar. Auch hierfür stellte der Coach hilfreiche Werkzeuge vor:

Die Wandel-Wand

An eine Wandel-Wand hängt die Schulgemeinschaft alle Elemente, die ihren Veränderungsprozess sichtbar machen. Das können Fotos, Bilder, Texte oder Gegenstände sein. So stellt die Wand das Gruppengeschehen in den Mittelpunkt und funktioniert gleichzeitig als Kommunikations-, als Partizipations- und als Erkenntnisfläche.

Das Goldene Buch

Es hat sich herausgestellt, dass die Sammlung von Erfolgen an vielen Schulen zu kurz kommt. Die Idee des Goldenen Buchs greift dies mit der Frage „Wo und warum waren wir erfolgreich?“ auf. Es liegt als physisches Buch an einem zentralen Ort wie dem Lehrer:innenzimmer aus. Jede:r kann jederzeit etwas hineinschreiben oder -legen – damit ist es ein niedrigschwelliges und gut zugängliches Tool. Zu festen Zeitpunkten, zum Beispiel bei Konferenzen, wird daraus vorgetragen. Den Change Agents dient das Goldene Buch als gute Grundlage für ihre Berichte.

TaskCards

Mit den TaskCards bietet sich ein digitales Tool, um Veränderungsprozesse zu organisieren, zu begleiten und zu dokumentieren. TaskCards ist eine Onlineplattform, mit der Lehrer:innen beispielsweise Aufgaben und Informationen für Schüler:innen bereitstellen können. Genauso kann eine Schulgemeinschaft das Tool als Lerntagebuch für ein Schulentwicklungsprojekt nutzen, etwa indem Spalten für Ausganglage, Zwischen- und Abschlussreflexionen oder Notizen angelegt werden. Die einzelnen Spalten können mit Karten zu Zielen, Qualitätsmerkmalen, Prozessschritten, Maßnahmen sowie Analysen zu Erfolgen oder Herausforderungen bestückt werden.

Der Pilotversuch in Schleswig-Holstein: erste Ergebnisse

Gemeinsam mit Lehrkräften hat Stefan Clotz in Schleswig-Holstein einen Pilotversuch mit dem Change Agents-Konzept gestartet. Im Workshop berichtete er von ersten Erkenntnissen.

  • Eine Person oder mehrere? Als eine gute Größe für Gruppen, die als Change Agents Veränderungsprozesse an ihrer Schule angehen möchten, haben sich drei Kolleg:innen bewährt.
  • Ressource „Stunden für Stelle“ Für Change Agents an Schulen braucht es zeitliche Ressourcen und Freiräume. Nach der gesammelten Erfahrung hält der Aufwand sich aber in Grenzen, und die Kolleg:innen beteiligen sich gut am Veränderungsprozess.
  • Balance zwischen Leitung und Kollegium Wandel beginnt dadurch, dass Hierarchien aufgebrochen werden. Bewährt hat sich ein gutes Gleichgewicht in der Beteiligung von Personen in Leitungsposition und Kollegium, um beide Ebenen gleichermaßen einzubinden.
  • Raum und Zeit zur Gestaltung Die Schulgemeinschaft wird gut „mitgenommen“, wenn sie Beteiligungsangebote bekommt, etwa in Form von konkreten Zeitslots. Auch eine wertschätzende Haltung und Kommunikation den Kolleg:innen gegenüber ist wichtig.

Gemeinsam den Rubikon überqueren

Als Grundlage für gelungenen Wandel stellte Stefan Clotz schließlich das Rubikon-Modell vor – ein motivationspsychologisches Schema zur Erklärung von Handlungen. Es betrachtet das Abwägen, das Planen, das Handeln und das Bewerten als vier aufeinanderfolgende Handlungsphasen.

Nachdem in der Abwägephase die Ziele definiert und nach ihrer Realisierbarkeit abgewogen werden, wird der Rubikon überquert – in Anlehnung an Julius Cäsars historische Überschreitung des Flusses Rubikon im Jahr 49 v. Chr., um einen kriegerischen Konflikt anzugehen, von dem es kein Zurück mehr gab. Es folgen Planung (präaktionale Phase, Entscheidungen), Handlung (aktionale Phase, Umsetzung) und Bewertung (postaktionale Phase, Evaluation).

Laut Stefan Clotz beginnen unsere Schulen meist mit der Bewertungsphase. „Für das Abwägen fehlen oft Zeit und Raum“, erklärt er. „Ohne die Abwägephase muss der Veränderungsprozess jedoch scheitern, da gar keine Willensbildung stattfinden kann.“ Ein Teilnehmender bemerkt, dass es bereits in dieser ersten Phase hilfreich sein könne, die nächsten drei Schritte einzubeziehen, ohne sie dabei jedoch gänzlich vorwegzunehmen. Ein weiterer Teilnehmender erzählt bildhaft: „Wir wurden bereits mehrfach über den Rubikon geworfen. Erst dann wurden Brücken gebaut. Dadurch haben wir viele blaue Flecken abbekommen und sind in viele Fettnäpfchen getreten.“

Change Agents können gemeinschaftlich getragenen Wandel ermöglichen – und blauen Flecken vorbeugen. Mit ihnen kann es unseren Schulen gelingen, den Rubikon sicher zu überqueren.

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