Vor einigen Jahren haben Sie bei sich im Land einen agilen Prozess angestoßen, um Aufgaben und Rollen der Schulaufsicht zu klären. Wie lief dieser Prozess ab?

Hans Stäcker: Der agile Prozess war für uns absolute Pionierarbeit, denn wir kommen alle von Block und Bleistift. Ausgangspunkt war unsere Frage, ob wir als Schulaufsicht einen gemeinsamen Leitstern haben, der uns alle bewegt. Die externe Moderatorin hat wohl gespürt, dass der nächste Schritt in Richtung Agilität sein muss. Unter ihrer Federführung haben wir unsere Aufgaben geklärt und herausgefiltert, in welchen Bereichen wir teils unterschiedlich agieren.

In agilen Sprints haben wir uns mit diesen Themen auseinandergesetzt, um eine Angleichung zu erreichen. Jeder Sprint dauerte sechs Wochen – anschließend haben wir uns das Ergebnis angeschaut. Beteiligt waren alle Schulrätinnen und Schulräte sowie die Mitarbeitenden der Obersten Schulaufsicht. Wenn alle einverstanden waren, ging es direkt in die Umsetzung. Entstanden ist dabei ein Dokument, in dem wir die Rollen und Aufgaben der Unteren Schulaufsicht in unserem Land definiert haben. Das Dokument wird laufend aktualisiert und soll zu einem Handbuch werden, das neuen Schulrätinnen und Schulräten Handlungssicherheit gibt.

Welche konkreten Veränderungen sind aus den agilen Sprints heraus entstanden?

Hans Stäcker: Wir haben beispielsweise eine E-Mail-Etikette eingeführt und einen Leitfaden für Videokonferenzen. Es gab jedoch auch größere Projekte, zum Beispiel die Probezeitbegleitung von Schulleitungen oder den Umgang mit Ordnungswidrigkeiten. All dies sind Themen, zu denen in den Schulämtern zwar gut und gesetzeskonform, aber dennoch nicht einheitlich agiert wurde.

Worauf kommt es bei der Einführung agiler Arbeitsweisen an?

Hans Stäcker: Im ersten Schritt muss man seine eigene Haltung klären. Wer ein positives Menschenbild hat und Wertschätzung lebt, der hat meiner Erfahrung nach auch kein Problem bei der Einführung neuer Methoden. Ich sehe mich da als Missionar, der die Menschen mit vielen kleinen Schritten begleitet. Ich schicke den Schulrät:innen beispielsweise jeden Freitag per Mail einen Brief mit verschiedenen Themen. Jedes Mal sind auch konkrete Anregungen enthalten, wie man Projektmanagement agiler gestalten kann. Ich hoffe, dass die Schulrät:innen diese Ideen nutzen und in die Fläche tragen.

Die Digitalisierung spielt natürlich eine große Rolle und wurde durch die Pandemie beschleunigt. Früher haben wir unsere Dienstversammlungen vor Ort abgehalten – heute machen wir nur noch Videokonferenzen und sparen uns die Fahrtzeiten. Das wurde zunächst sehr kritisch gesehen, doch heute fordern die Kolleg:innen es ein. Gleiches gilt für die Einführung der elektronischen Akte. Es ist wie bei allen Neuerungen: Wir können nicht einfach den Schalter von jetzt auf gleich umlegen. Veränderungen brauchen Zeit. Mir ist jedoch wichtig, den Kolleg:innen immer wieder bewusst zu machen, dass wir uns in einem Veränderungsprozess befinden.

Was ist für Sie das Ziel dieses Veränderungsprozesses?

Hans Stäcker: Es geht um Flexibilität und Schnelligkeit, aber nicht zu Lasten der Genauigkeit. Und es geht um die Haltung: Was macht eigentlich die Haltung einer Schulaufsicht aus? Was macht den Spagat zwischen Beratung und Aufsicht aus? Mein Blick ist der, dass die Schulaufsicht für die Schulen da sein sollte und sie in ihren Veränderungsprozessen begleitet, berät und unterstützt – ohne dass die Schulleitung die Verantwortung abgibt. Dazu müssen sich Schulaufsichten auch von ihrem eigenen Leitungsverständnis freimachen.

Was zeichnet für Sie eine zeitgemäße, agile Leitungskultur aus?

Hans Stäcker: Mir ist wichtig, in meinem Führungsverhalten authentisch und transparent zu sein. Ich bin grundsätzlich eher ein Schätzesucher als ein Defizitfahnder. Diese Bilder versuche ich zu vermitteln. Und ich versuche in der Art und Weise, wie ich Prozesse und Projekte angehe und welche digitalen Tools ich dafür nutze, den Kolleg:innen neue Wege aufzuzeigen.

Wenn ein neues Projekt aufgelegt wird, starten wir im virtuellen Raum mit einem Brainstorming. Wir tauschen uns in kleiner Runde aus und sammeln auf einer digitalen Pinnwand Ideen. Dann gehen wir mit dieser Vorarbeit in die Großgruppe mit allen Schulrät:innen – und jeder kann seine Gedanken und Vorschläge einarbeiten. So kommen wir in gute Prozesse rein.

Die digitale Zusammenarbeit ist gerade deshalb so sinnvoll, weil ich 25 Schulrätinnen und Schulräte führe, die in ganz Schleswig-Holstein verteilt sind. Ich habe ein Grundvertrauen in ihre Arbeit, versuche aber gleichzeitig, einen engen Kontakt zu halten – nicht im Sinne von Kontrolle, sondern Begleitung.

Inwiefern ist agileres Arbeiten auch in den Schulämtern angekommen?

Hans Stäcker: Bei Agilität muss jeder seinen Weg finden und gehen. Ich kann nicht anordnen, dass nun in jedem Schulamt mit einem Kanban Board gearbeitet werden muss – das wäre ein falscher Weg. Das müssen sie eigenverantwortlich entscheiden. Es gibt Kolleg:innen, für die es selbstverständlich ist, mit agilen Methoden und digitalen Tools zu arbeiten. Und es gibt diejenigen, die immer ein Notizbuch an der Seite liegen haben und alles aufschreiben. Das ist auch gut so! Langfristig werden alle merken, welch eine Entlastung es darstellt, mit einem Laptop unterwegs zu sein und alle Informationen immer verfügbar zu haben. Das ist ein Prozess – und es hat auch bei mir gedauert, bis ich OneNote als Notizbuch genutzt habe.

Welches agile Tool nutzen Sie besonders gern und was schätzen Sie daran?

Hans Stäcker: Ich arbeite sehr gern mit dem Kanban Board. Es steht bei mir im Büro und macht Arbeitsprozesse sichtbar: Was ist in der Warteschleife? Welche Prozesse sind in Bewegung? Und was habe ich schon alles geschafft? Diese letzte Frage hat in der Wahrnehmung bislang überhaupt keine Rolle gespielt. Es ist jedoch wichtig, auch mal Erfolge zu feiern und zu erkennen: Wir haben hier in schwierigsten Zeiten echt was auf die Beine gestellt und Prozesse zu Ende geführt. Das ist doch super – und entlastend.

Entlastung benötigen wir an vielen Stellen. Wir erleben an jedem Arbeitsplatz eine Arbeitsverdichtung, daher brauchen wir diese Veränderungen. Agiles Arbeiten und gute digitale Tools – auch solche, die bislang aus Datenschutzgründen noch nicht genutzt werden dürfen – werden aus meiner Sicht immer wichtiger, um Entlastung zu ermöglichen.

Dieses Interview erschien in der Ausgabe 2/2022 „Agile Schulführung“ der Leit-IDEEN, einer Publikationsreihe von „LiGa – Lernen im Ganztag“.

Zur Person:

Hans Stäcker ist Referatsleiter im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig- Holstein und als Oberste Schulaufsicht für die schulamtsgebundenen Schulen zuständig. Er ist Mitglied im Expert:innenrat des Programms „LiGa – Lernen im Ganztag“.

  • Erscheinungsdatum: 21.06.2022
  • LiGa
Creative Commons BY-SA 4.0

Dieser Artikel wird unter der Creative Commons-Lizenz „Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0)“ veröffentlicht. Weitere Informationen: Creative Commons Lizenz